Timing ist alles


Es war Donnerstag, ein ganz normaler Abend mit meiner besten Freundin und einer Flasche Sekt.
Und dann kamst du.

Fast schon Wochenende, es ist so nah dass ich es riechen kann, aber noch ist es nicht so weit. Anja
ruft mich an und lädt mich zu sich ein „ich hab ein neues Spiel für die Playstation und ´ne Flasche
Asti, Lust?“ Klar hab ich Lust, vor allem nach diesem stressigen Tag im Büro. Gut dass Anja nur
eine Straße weiter wohnt und ich in 5 Minuten bei ihr sein kann. Ich hübsche mich nicht großartig
auf, kämme mir die Haare und binde sie zusammen, unter Mädels ist das schon ok. In diesem
Aufzug würde ich weder zum Supermarkt, noch zum Arzt gehen, aber solche spontanen Abende sind
normalerweise zum gammeln da, das weiß ich.

10 Minuten nach ihrem Anruf stehe ich bei ihr vor der Tür. „Du hast dich heute ja gar nicht so schick
gemacht wie sonst, bist ja jetzt ganz schön früh dran!“ Ich bin etwas überrascht über ihre Reaktion und
frage „Wieso, ist das heute schlimm? Hast du noch was vor, kommt die Queen?“ „Nein, aber ich habe
heute mit Manuel gesprochen. Ich habe ihn auch eingeladen, vielleicht kommt er später auch mal kurz
vorbei, ist aber nicht sicher.“

Manuel. Manuel, den ich schon seit 5 Jahren kenne und mit dem ich seit zweieinhalb Jahren in
derselben Berufsschulklasse bin. Manuel, der vor 5 Jahren Anjas bester Freund war, mit dem aber
leider der Kontakt abbrach weil seine damalige Freundin so unglaublich eifersüchtig war und nicht
wollte dass sie sich weiterhin treffen. Manuel, mit dem sich Anja letztes Wochenende zum essen
getroffen hat, da seine eifersüchtige Freundin vor ein paar Monaten Schluss gemacht hat und er
jemanden zum reden brauchte. Dieser Manuel sollte heute Abend auch kommen. Ok. Gut. Ich sehe
aus wie ein Supertrottel.

Schnell renne ich ins Bad und versuche zu retten, was zu retten ist. Hätte ich mir doch bloß die Haare
heute Morgen gewaschen, dann hätte ich jetzt nicht so wahnsinnige Probleme sie zu bändigen.
Es hilft alles nichts, die Pferdefrisur muss bleiben. Hätten Anja und ich die gleiche Kleidergröße,
würde ich mir etwas von ihr zum Anziehen leihen, mein graues Woll – shirt auf dem schwarze und
rote Flecken im Giraffenstyle angeordnet sind, sieht aus, als hinge es normalerweise in Omas
Kleiderschrank. Hilfe. Aber warum mache ich mir solchen Stress? Ich weiß es selbst nicht so genau.

Komischerweise bin ich aufgeregt. Warum eigentlich? Ich sehe ihn jeden Mittwoch in der Schule, dann
bin ich doch auch nicht aufgeregt. Aber in der Schule habe ich auch nichts mit ihm zu tun. Jedenfalls
nicht privat. Doch jetzt ist es eine ganz seltsame Situation. Wir kennen uns eigentlich schon so lange,
doch irgendwie auch überhaupt nicht und sind uns völlig fremd. Ich kann mich nicht daran erinnern
dass wir jemals ein privates Gespräch geführt hätten. Obwohl in den letzten 5 Jahren doch so viel Zeit
dafür gewesen wäre. Doch jetzt kommt er in die kleine 2 Zimmer-Wohnung von Anja, in der es auch
keine Möglichkeiten gibt sich aus dem Weg zu gehen, wenn man das denn gewollt hätte.

Anja legt das Karaoke-Spiel ein und drückt mir ein Mikrophon in die rechte Hand. In der anderen
halte ich mein erstes Glas Asti, das hilft ein wenig gegen die Aufregung. Gegen diese unerklärliche
Aufregung die mich ganz wahnsinnig macht. Die Anfangsmelodie des ersten Liedes ertönt und
zeitgleich klingelt es an der Tür. Er ist schon da. Mein Herz klopft. Warum nur? Ich fühle mich wie ein
kleines 14-jähriges Mädchen das gleich ihren „großen Schwarm“ auf einer Party treffen soll. Mehl,
reiß dich ein bisschen zusammen, bitte! Anja öffnet die Tür und du kommst rein. Du siehst richtig gut
aus in deinem dunkelblauen enganliegendem Hemd, wirklich schick, wodurch mir leider nur wieder
allzu bewusst wird wie ungestylt ich heute durchs Leben gehe, hätte ich das doch bloß mal vorher
gewusst…

Du umarmst Anja zur Begrüßung. Es ist dir anzumerken dass du überrascht bist mich hier zu sehen,
kommst auf mich zu und umarmst auch mich. Ich finde es ein wenig komisch, da wir uns in der Schule
eigentlich eher aus dem Weg gehen, wenn auch unbewusst, und nur mal ein paar Sätze miteinander
wechseln wenn wir zusammen Tafeldienst haben. Und nun hast du mich im Arm. Die Umarmung ist
zu lang um sie als unbedeutend zu bezeichnen. Irgendetwas ist da. Ich kann nicht definieren was es
ist. Wir setzen uns auf die Couch, Karaoke ist bereits vergessen, ich kann vor dir keine Lieder trällern,

nein, wirklich nicht.

Ich schenke mir mein zweites Glas Asti ein, bin heute gut dabei. Aber heute brauche ich das auch,
sonst bin ich ein einziges Nervenbündel. Warum auch immer. „Ich geh mal kurz eine rauchen, ich
kann euch ja bestimmt mal ein paar Minuten allein lassen, hihi“ Oh wie gerne ich jetzt Raucher wäre.
Anja verschwindet in die Küche und lässt uns im Wohnzimmer alleine zurück. Stille. „Willst du nicht
mal ein bisschen was für mich singen?“ frage ich grinsend, dir ein Mikrophon entgegenhaltend, um der
Stille zu entkommen. „Nee, lieber nicht, dazu fehlt mir gerade der nötige Alkoholpegel.“ Eigentlich bist
du wirklich charmant, warum ist mir das nie aufgefallen? Wir unterhalten uns ein wenig über dies und
jenes und ich nippe immer wieder an meinem Glas Sekt. Ich bin gar nicht mehr aufgeregt, dafür ist
die Stimmung mit dir schon zu locker. Anja bleibt noch etwas länger in der Küche um zu telefonieren,
aber das macht uns nichts aus, wir haben unseren Spaß auch zu zweit. Eigentlich bist du für mich wie
ein Fremder, obwohl wir uns bereits seit 5 Jahren kennen, nur leider habe ich dich in dieser Zeit nie
in meinem Leben gespürt. Wir lachen viel miteinander und verstehen uns einfach gut. Irgendetwas
passiert hier gerade.

Wir planen für das Wochenende mal etwas zusammen zu unternehmen ( „am Wochenende machen
wir mal ´nen Schoppe zusammen“ ), mit Anja und einer anderen Freundin und ihrem Freund.
Nachdem du mich nach Hause gefahren hast fühle ich mich ganz merkwürdig, was ist bloß los mit
mir? Das Gefühl ist mir so fremd und ich bin irgendwie glücklich. Es war ein lustiger Abend mit dir und
ich freue mich schon auf Samstag und unsere Clubtour.

Endlich ist es so weit, endlich Samstag. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, kann mir nicht
erklären warum mir das so wichtig ist, es ist ein ganz normales Wochenende. Ich habe das Bedürfnis
mir für heute Abend was schickes zum Anziehen zu kaufen, schnappe mir Anja und fahre mit ihr in
die Stadt. Nach gefühlten 5 und tatsächlichen 3 Stunden sind wir beide fündig geworden und haben
unsere Outfits für den Abend zusammen. Die Party kann kommen.

Gegen halb zehn versammeln wir uns alle in Anjas Wohnung, um mit dem Bus um zehn Richtung
Stadt zu fahren. Ich fühle mich gut weil ich gut aussehe, obwohl ich nicht so genau weiß warum mir
das heute so wichtig ist und ich sogar extra shoppen gehen muss um mich neu einzukleiden. Liegt es
an dir? Ich weiß es nicht. Aber ich scheine dir heute Abend zu gefallen, du siehst mich immer wieder
an und lächelst mir zu während wir in diesem Cafe sitzen. Ich fühle mich gut und das liegt an dir. An
dir, dem schönen Fremden den ich schon seit so vielen Jahren kenne und eigentlich doch gar nicht.
Es freut mich zu wissen, dass wir den Abend heute zusammen verbringen und Spaß haben werden.

Nun sind wir im Club. Ich tanze ausgelassen mit meinen Freundinnen und habe Spaß. Ich merke dass
du mich dabei beobachtest, aber es stört mich nicht. Das muss auch an den zwei Cocktails liegen die
ich bis dahin schon getrunken habe. Der Abend ist schön, ich war lange nicht mehr tanzen und koste
das heute Abend mal richtig aus. Die anderen brauchen mal wieder ihre Raucherpause und gehen
nach draußen. Wir bleiben auf der Tanzfläche und unsere Körper nähern sich einander. Langsam,
aber sicher. Wir tanzen den ganzen restlichen Abend miteinander und ich vergesse alles um mich
herum. Die Zeit vergeht wie im Fluge und es fühlt sich an als seien wir die einzigen im Club. Es fühlt
sich gut an. Ich spüre dass du dich von mir angezogen fühlst und mir geht es mit dir dabei nicht
anders.

Ich weiß nicht wie es passiert ist, du musst den ersten Schritt gemacht haben, aber plötzlich berühren
sich unsere Lippen und verschmelzen zu einem intensiven, leidenschaftlichem Kuss. Normalerweise
mache ich das gar nicht, nein, wirklich nicht, jemanden küssen den ich eigentlich kaum kenne. Aber es
fühlt sich richtig an, es fühlt sich an wie etwas echtes. Es ist als würde ich schweben, über den Köpfen
der anderen Partygäste, mit dir. Der Kuss soll nie enden, der Moment ist gerade einfach zu schön. Ich
war schon lange nicht mehr so glücklich wie in diesem Augenblick, vielleicht war ich auch noch nie so
glücklich, ich kann mich jedenfalls nicht erinnern. Als sich unsere Lippen irgendwann doch trennen,
frage ich dich: „Wieso hat es so lange gedauert, wieso musste es fünf Jahre dauern?“ Du hast mich
angegrinst und nur gesagt „Tja, timing ist eben alles.“


3 Kommentare:

  1. Die Geschichte hört sich irgendwie erfunden an^^

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  2. ist sie aber nicht :P
    :D so viel Kitsch hätte ich mir gar nicht ausdenken können :D

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  3. Die Geschichte ist richtig schööön! Bin ganz gebannt - besonders das Ende hat's mir angetan *-*

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